Prokrastinieren, einfach die Füße hochlegen, Fünf gerade sein lassen… Das, was wir unter „Faulsein“ verstehen, kommt in verschiedenen Varianten daher. Dahinter steckt aber eigentlich viel mehr – wie der Kinderpsychiater @KJPGehrden ins in einem aufschlussreichen Thread erklärt. Lest weiter, um zu erfahren, warum Kinder eben nicht einfach „faul“ sind und was Eltern dagegen tun können.
1. Nahezu jede Mutter oder jeder Vater dürften dieses Sätze so oder so ähnlich schon einmal gehört haben:
https://twitter.com/KJPGehrden/status/1260924316574679041?s=20
2. Doch es ist, wie es oft mal so ist: Klingt einfach und simpel, ist aber komplizierter.
Was bedeutet „Faulsein“ eigentlich? Es beschreibt unsere Bereitschaft, Mühe und Zeit aufzuwenden, um ein Ergebnis oder gar eine Belohnung zu erreichen.
Beispiel: Ich jäte das Unkraut, damit das Beet morgen hübsch & ordentlich ist. Wüchse es heute nacht wieder zu, jäte ich nicht.
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
3. Kommt nicht nur Kindern sehr bekannt vor.
Wie hoch ist Ihre Bereitschaft, eine Handvoll Papiere vom Schreibtisch wegzusortieren, wenn sonst nichts drauf liegt? Hoffentlich eher hoch. Das Ergebnis lässt sich sehen.
Ist aber der komplette Schreibtisch zugemüllt, ist die Bereitschaft meist geringer: Das Ergebnis lockt nicht— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
„Faulsein“ ist keine Charaktereigenschaft. Sind Kinder „faul“, stimmt meist das Verhältnis von Aufwand zu Endergebnis nicht. Das merken wir unter anderem daran, dass Kinder meist das gern und lange tun, was ihnen liegt und zufliegt (Diabolo werfen, Programmiersprachen, Youtuben).
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
„Faul“ sind wir, wenn wir für viel Aufwand nur wenig Ertrag erwarten: 2h Mathe machen, hinterher ist viel falsch und Papa schimpft? Keine Lust.
Oft versteckt sich hinter der „Nicht-Lust“ die Vermeidung einer Überforderung. Es hat den Anschein: Das Kind könnte, wenn es wollte.
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
4. So werden leider keine Probleme gelöst.
„Mein Kind kann, will aber nicht“ höre ich oft. Es ist ein Satz, der Wut erzeugt. Warum muss ich mich als Vater so anstrengen, während das Kind sich verweigern darf?
Dieser Satz löst keine Probleme, belastet die Beziehung und schafft Vorwürfe und Schuldgefühle. Er kann weg.
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
5. Aus diesem Blickwinkel heraus sieht das Ganze schon wieder anders aus.
Drehen Sie „Mein Kind kann, will aber nicht“ einfach um: „Das Kind würde ja, es kann aber nicht.“ Vielleicht ist es gestresst, überfordert, müde, überreizt, wütend oder es traut sich nichts zu.
Doch warum tut mein Kind dann bitte so, als hätte es bloß einfach keine Lust?
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
Wenn Kinder sich verweigern, ist dies anstrengend, auch für die Kinder. Immerhin zeigen diese ein Verhalten, das wahrscheinlich Schimpfen nach sich zieht. Sie riskieren was. Das tun Kinder nicht „einfach so“, sondern weil es als bessere von zwei schlechten Alternative erscheint.
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
6. Ein Lösungsvorschlag lautet folgendermaßen:
Versuchen Sie, das Verweigern Ihres Kindes nicht als „lästige Fehlfunktion“ zu begreifen, sondern als aktive Handlung, die oft dazu dient, das ohnehin schwache Selbstwertgefühl in diesem Moment notdürftig zu stabilisieren. Verweigern schafft das Gefühl von etwas Selbstwirksamkeit
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
7. Bitte merken!
Ein Zaubersatz bei Kindern, die sich verweigern: „Kann es sein, dass du dich heute schon ganz schön angestrengt hast?“ Dieser Satz transportiert Wertschätzung, Respekt, Lob, Empathie. Kinder brauchen das sehr. „Wie viel Kraft hast du denn noch übrig? Wie willst du die nutzen?“
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
Wenn wir auch ein Stör- oder Verweigerungsverhalten von Kindern als sinngerichtet sehen, ist es leichter, sich nicht darüber zu ärgern, sich nicht als Elternteil wirkungslos zu fühlen. Verweigern hat einen verborgenen Sinn, meist in Form eines Schutzes vor Überforderung & Frust.
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
8. Und auch dieser Vorschlag klingt recht vernünftig:
Da unsere Wirklichkeit sehr durch die Sprache geprägt wird, die wir nutzen, bin ich dafür, den Begriff „faul“ nur noch zu nutzen, wenn es tatsächlich um Äpfel und Birnen geht. Statt: „Du bist stinkend faul!“ besser „Wie kann ich etwas helfen, dass du es schaffen kannst?“
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
Das Wort „faul“ ist im Deutschen äußerst negativ konnotiert. Wir denken an Antriebsschwäche, an Täuschung („fauler Zauber“), unfaires Spiel („Foul!“) und Verwesung („Fäulnis“). Das Wort ist ein machtvolles Stigma. Wer es benutzt, sollte sich dessen negative Kraft bewusst machen.
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
9. Sounds better:
Es gibt im Englischen unterschiedliche Übersetzungen des Wortes „faul“.
Eine schöne ist „idle“ (müßig), das als Verb sogar eine Tätigkeit beschreibt: „The boys idled in the garden.“ Man tut nicht „nichts“, sondern treibt Müßiggang, unterhält sich, lässt die Zeit vergehen
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
10. So schaffen Eltern eine vertrauensvolle Grundlage:
Wenn Ihr Kind „faul“ war, die Hausaufgabenzeit vertrödelt hat, schimpfen Sie nicht. Es bringt nichts. Erkundigen Sie sich, was Ihr Kind stattdessen gemacht hat. Seien Sie neugierig. Das schafft eine vertrauensvolle Grundlage, die Sie für den Hausaufgabenrest dringend brauchen.
— Kinderpsychiater Dierssen (@KJPGehrden) May 14, 2020
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Vielen Dank an Kinderpsychiater Dierssen! ❤️
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